Leseprobe:
Ein unbekannter Soldat
Eine schlechte Straße kam vom Flugfeld, gabelte sich genau vor dem Haus und verlor sich, in verschiedene Richtungen geleitet, in der Weite des Truppenübungsplatzes. Am Haus ragte ein Fahnenmast in den Himmel; an diesen sollte Iwaschko auf Anweisung jeweils eine vorher genannte Fahne aufziehen. Gelegentlich kam solch ein Befehl über das Feldtelefon, nannte ein Losungswort und eine Farbe. Es gab nur zwei: gelb und grün. Die geheimen Zusammenhänge und die Bedeutung dieser Farben waren ein Geheimnis, nur einige wenige höhere Offiziere in weit entfernten Kommandobunkern zählten zu den Eingeweihten.
Iwaschko versuchte längere Zeit, hinter dieses Geheimnis zu kommen. Anfänglich hatte er vermutet, die jeweilige Farbe der Fahne am Mast könne ein Hinweis sein für die Führungsfahrzeuge der Kolonnen, die oft an seinem Häuschen vorbeikamen, an der Weggabelung eine bestimmte Richtung einzuschlagen. Doch er erkannte bald, dass die Farbe der Fahne darauf keinen Einfluss hatte. Die Fahrzeuge blieben immer auf dem Weg, der optisch gerade den besseren Eindruck machte.
Iwaschko strengte sich an, wollte sich keinen Fehler nachsagen lassen. Obwohl er kaum kontrolliert wurde, bewahrte er Disziplin und hielt den vorgeschriebenen Tagesablauf des Kasernenlebens aufrecht. Als Frühsport umkreiste er täglich das Haus, um in der Nähe des Telefons zu bleiben. Nach einiger Zeit entstand ein ausgetretener sandiger Pfad im Gras, das rings um das Häuschen herum wucherte. Es dauerte aber nicht lange und Iwaschko hatte den Rhythmus der wenigen Anrufe, die er erhielt, erkannt. Wenn das Telefon anschlug, war es entweder morgens sechs oder abends achtzehn Uhr. Niemals änderten sich diese Zeiten, Iwaschko konnte die Uhr danach stellen. War die Zeit heran, unterbrach er die Beschäftigung, der er gerade nachging, und postierte sich neben dem Telefon; oft aber wartete er vergeblich. Einmal bekam er einen Monat lang keine Anweisung. Er glaubte schon, man habe ihn vergessen. Vielleicht hatte der am anderen Ende der Leitung Urlaub, war erkrankt oder konnte aus einem anderen Grund seinen Pflichten nicht nachkommen. Dann aber meldete sich das Telefon wieder in gewohnter Regelmäßigkeit, und das Wechseln der Fahne erfolgte wie immer.
Einmal in der Woche kam ein Versorgungsfahrzeug und brachte Lebensmittel. Die Soldaten, die ihm die Verpflegung brachten, waren immer in Eile, sie hatten keine Zeit für ein Schwätzchen. Aber es waren gutherzige Kameraden. Wenn Iwaschko ihnen Geld von seinem Sold mitgab, damit sie ihm Tabak besorgten, so kam das Gewünschte stets draußen an. Auch wenn die Fahrer inzwischen gewechselt hatten. Manchmal brachten sie eine Neuigkeit mit. Auf diese Weise blieb Iwaschko mit der Welt in Verbindung, und so blieb es ihm nicht verborgen, als Stalins treues Vaterherz aufgehört hatte zu schlagen.
Soldaten wurden entlassen und andere kamen, Iwaschko aber blieb auf seinem Posten. Manche Essenfahrer wunderten sich über den seltsamen Soldaten, dessen kurz geschorenen Borsten auf dem Schädel bereits grau wurden. Auch schien er das übliche Dienstalter überschritten zu haben. Weiterführende Gedanken machte sich keiner.