Leseprobe:
Nelsons elfte Reise
Die Männer gingen zur Hütte, einige von ihnen wirkten deprimiert. Noch waren sie auf der ersten Etappe in der Sahara und schon gab es Schwierigkeiten. Neben der Verkaufsbude, unter einer rissigen, als Sonnenschutz gespannten Plane, standen einfache Tische und Bänke. Dort saßen die Fahrer der Autos.
Leon musterte sie unauffällig. Saharatouristen aus Europa, die angeblich oft Verwegene spielten, waren nicht darunter. In diesem Teil der Wüste war es für Leute mit Geld noch immer zu gefährlich. Leon sah nur arabische und schwarze Fahrer, Leute, die ihrer Arbeit nachgingen und nicht Abenteuer und Zerstreuung suchten. Sie saßen hier zusammen und unterhielten sich über schwierige Stellen der Piste, wo es billigen Sprit gab und wo Polizei und Zoll mit sich reden ließen. Es wurde nicht laut gesprochen, auch hatten viele ihr eigenes Essen dabei.
Im Cafe' gab es sogar französische Zigaretten und Coca Cola, doch die Dosen wurden nicht mehr gekühlt. Die Ausgaben für das Benzin, mit dem der Generator betrieben wurde, lohnten sich nur, wenn die Weißen kamen.
Am letzten Tisch, abseits der Lkw-Fahrer, saß ein Targi mit sorgfältig verschleiertem Gesicht. Der Mann wirkte stolz und unnahbar.
"Das ist unser Mann", meinte Nelson und ohne zu zögern, sprach er ihn an: "Bist du Hassan? Wir sind die, die nach Tam wollen."
"Kommt mit", sagte der Targi. Er erhob sich und ging zu den parkenden Autos, ohne die Neuankömmlinge eines weiteren Blickes zu würdigen.
Die Männer folgten ihm schweigend, nur Nelson konnte nach einigen Schritten nicht länger an sich halten. "Als ich das letzte Mal hier war, drängelten sich hier noch die Weißen", erzählte er. "Die waren in klimatisierten Geländewagen angereist, weil sie sich am Anblick der Landschaft berauschen wollten. Einige sogar auf dem Motorrad. Die Weißen überlegen sich ständig neue Sachen, wie sie sich abschinden können, damit sie am Abend müde sind. Wenn sie nicht müde sind, schlafen sie schlecht und müssen zum Arzt. Die nennen so was 'Psyche'. Wenn die was an der 'Psyche' haben, wollen sie nicht mehr leben. Wenn ich genug zu essen habe, ist mit meiner 'Psyche' alles in Ordnung."
"Du hörst dich wohl gern reden"?, fragte Leon.
Das Auto, mit dem sie weiterfahren sollten, war wieder ein Pick-up von Toyota, auch war er genauso abgewirtschaftet wie der, mit dem sie Gao verlassen hatten. Acht Schwarze warteten bereits am Auto, insgesamt waren sie jetzt sechzehn Personen. Auf der Ladefläche würde es eng werden. Der Targi ging an die im Sand hockenden Schwarzen vorbei und blickte über ihre Köpfe hinweg, als sehe er sie nicht. Die erhoben sich schnell, hatten sogleich begriffen, dass es weiter ging.
Ein junger Bursche trat an die Neuen heran. "Unter uns ist eine Frau", sagte er leise. "Sie hat sich als Junge verkleidet, damit es keiner merkt. Spielt mit, sonst wird sie von den Schleppern vergewaltigt. Das will wohl keiner von euch."
Leon musterte die anderen. Er versuchte herauszufinden, wer gemeint sein könnte. Da gab es einen schmalen Jungen mit kurz geschorenen Haaren und grauer Jacke, der sich abseits hielt und scheinbar keinen anzusehen wagte.