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Jonas Ludwig von Heß: Hamburg - Beschreibung einer Stadt (Band 1 bis 3), Sachbuch, zusammen 1445 Seiten, 64 Abbildungen, Gebunden, ISBN 978-3-941535-08-4
J. L. von Heß (1756 - 1823) hat sich nach 200 Jahren wieder in die Liste der aktuellen Autoren eingereiht. Sein Hauptwerk "Hamburg - topographisch, politisch und historisch beschrieben" ist nach der zuletzt erschienenen Ausgabe von 1810/11 in einer überarbeiteten Fassung wieder verfügbar. Es erscheint unter dem Titel "Hamburg - Beschreibung einer Stadt".
Nach aufwendiger Bearbeitung hat der Autor Reinhard Mrosk dieses inhaltsreiche Werk neu herausgegeben. Er hatte Zugang zu hinterlassenen Aufzeichnungen von Jonas Ludwig von Heß, der, wohl an eine neue Auflage denkend, dafür Berichtigungen und Erweiterungen notierte.
Das Werk ist, ausgehend von der Ausgabe von 1810/11, um ca. 70.000 Wörter erweitert worden, weshalb die Formulierung ?gründliche Bearbeitung? sicher zutrifft. Das Ergebnis spricht für sich. Was jetzt vorliegt, ist ein Monumentalwerk der deutschen Klassik, anspruchsvoll, Ehrfurcht gebietend und witzig. Wer sich an dieses Buch heranwagt, wird schnell gefangen von der Leichtigkeit, wie dieser Text daherkommt, und wird überrascht feststellen, wie amüsant zu lesen ist, was ein Beobachter mit wachem Blick vor 200 Jahren in einer großen, reichen Stadt festgestellt hat.
Warum einem dieses Vergnügen so lange vorenthalten wurde? Jonas Ludwig von Heß war ein Befürworter und Verteidiger der Bürger-Republik in Gestalt der Freien Reichstadt in Deutschland. Das führte dazu, dass sein Andenken im monarchistisch geprägten 19. Jahrhundert nicht gepflegt wurde und er schon bald nach seinem Tod in Vergessenheit geriet.
Leseproben:
Leseproben Hamburg I-III
Band 1 (Seite 131)
Bis 1805 brannten die Leuchten nach einem Kalender, in welchem der Mondschein gar zu ungenau berücksichtigt war. Die Lampen brannten zur Zeit des Vollmondes entweder überhaupt nicht oder nur eine so kurze Zeit, dass sie in den längsten Winternächten während einer ganzen Woche, in welcher der Mond scheinen sollte, nicht mehr als 10½ Stunden angezündet blieben, also kaum 1½ Stunden von einer 16 Stunden langen Nacht. Vom 19. Mai bis zum 19. Juli wurde es unserer umnebelten Dämmerung, die dem Abend folgen und dem Morgen vorhergehen soll, zugetraut, dass sie die engen und finsteren Gassen der Stadt genug erhellen würde, da während dieser zwei vollen Monate durchaus keine Lampe angezündet wurde, welches doch von unserer Himmelsgegend ein wenig viel gefordert war. Auch hat es nicht an ägyptischen Finsternissen bei uns gefehlt, sowohl während dieser langen Dämmerungsperiode wie zu den Zeiten, wo das Mondlicht die Stelle der Leuchten zu vertreten angewiesen war. Auch erinnert man sich bei uns noch einer der denkbar finstersten Nächte im Jahr 1794, wo anstatt der vom Himmel erwarteten Erleuchtung durch die Gestirne die Dunkelheit des Grabes über Hamburg verbreitet lag, da Lunens Silbergewand durch eine totale Mondfinsternis (vom 14. bis zum 15. Februar), die bei der Anfertigung des Mondscheinkalenders ganz außer Acht gelassen war, umflort wurde.
S. 169
Am häufigsten sieht man diese Kleinhändler auf dem Speersberg, dem Burstah, beim Graskeller, der Ellerntorsbrücke und der ganzen Länge des Steinwegs hinauf. Hökerinnen von Obst und Gemüse pflanzen sich in jedem Teil der Stadt an, jene auf den Gehsteigen und freien Plätzen, diese gewöhnlich dort, wo es viele Mietwohnungen gibt und mehrere Gänge zusammenlaufen. Ihre kleinen Warenangebote sind mühelos zu transportieren, wie auch der stets mitgeführte Wetterschutz, meist alte Regenschirme, die wenig Schutz mehr gegen Nässe und Unwetter gewähren, als die pergamentene Urkunde eines alten Vorrechts gegen die Umwälzungen der neuen Zeit. So reichhaltig ist das Labyrinth an engen, dornigen Wegen, auf welchen sich die ärmere und größte Menge der Menschen durch ihr hartes Leben drängen und bis ans Ende plagen muss.
S. 271
Von den 24 Höfen befinden sich einige am Neuen Weg, wozu der Mecklenborgsch Hof gehört, der einen so schmalen Eingang hat, dass es für einen nicht sehr mageren Menschen unmöglich wird, durchzukommen. Aber Behausungen für Arme sind auch nicht für gemästete Leute bestimmt und noch ist wohl keiner in diesem Hof so wohlbeleibt geworden, dass er deshalb hat ausziehen müssen.
S. 277
Die Zeit ihrer Gründung lässt sich wohl dadurch zutreffend erklären, dass diese milden Stiftungen nicht lange nach der Reformation durch diese Generation begannen, die den Glauben ihrer Väter abgelegt und die neue Lehre angenommen hatte. Es scheint im Stoff der armen Sterblichen mit verwebt zu sein, dass der Mensch seine angestammten Religionsbegriffe nicht leicht und vielleicht nie ganz von sich zu legen vermag, dass anerzogene Vorstellungen, Gewohnheiten und Glaubensforderungen die Erbstatthalterinnen unseres Lebens bleiben und der Mensch, das Spielding der Natur, in seinem Innern gerade am ärgsten durch Gedanken erschüttert wird, die über die Sphäre seiner Seele hinausgehen.
Keine Macht vermag vollkommen zu tilgen, wozu der religiöse Schein den Menschen hinreißt. Zur Ruhe des Lebens gehört ein fester oder gar kein Glaube. Was war natürlicher, als dass die, ihre alten Schutzheiligen verlassenden Hamburger, in den ersten Zeiten nach der Reformation in einem gemischten Vertrauen zwischen der entsagten und der neu angenommenen Glaubenslehre schwebten. Sie suchten Glück und Trost in wohltätigen Handlungen und frommen Stiftungen, in deren Bewusstsein die besorgte Anteilnahme sich sowohl dem Gott ihrer Väter wie ihrer neuen Glaubenslehre mit Zuversicht nähern durfte.
S. 280
Waren nun diese, den Ringmauern der Stadt einverleibte Flächen zwar für die Bebauung vorgesehen, so war die Erinnerung an das, wozu sie gedient hatten, doch noch zu frisch, und selbst die ihnen gebliebenen Namen erregten auch bei zur Ansiedlung bereiten Leuten einen Widerwillen, seine Wohnstätte auf diesem mit Blut und Verwesung gedüngten Boden aufzuschlagen. Was lag nun näher, als dass man damit anfing, die Armen- und Gotteswohnungen auf diese anrüchigen Stellen zu verlegen, für die gerade Bauplätze gesucht wurden. Wohl zu allen Zeiten hat sich ein Bedürftiger mit philosophischer Gleichmütigkeit wenig dafür interessiert, ob seine freie Wohnung auf einem ehemaligen Galgenplatz oder einem Siegesfeld errichtet worden ist. Die jetzige Neustadt, die noch nicht bebaut war, lag auch zu entfernt von den Kirchen der Altstadt, aus welchen mehrere dieser neuen Gotteswohnungen hervorgingen. Als nun durch einige Armenhäuser diese gemiedene Gegend entunehrt war, entstanden auch bald neben ihnen weitere Häuser, Höfe und endlich Gassen. Das Vorurteil, welches sich nicht hatte überwinden können, neben einem ehemaligen Richtplatz zu wohnen, fand kein Bedenken, seinen Bau auf der Stelle zu errichten, die einst einen Galgen eingenommen hatte, da es in einer Gotteswohnung bereits seinen nächsten Nachbar vorfand.
S. 341
Es finden sich aber auch unzweideutige Anzeichen, dass dieses Gässchen die Hahnen-Twiete genannt worden ist. Im Stadtbuch von 1464 steht sie als Porta Gallorum, wobei angemerkt ist, dass dieser Twiete gegenüber die Tollkiste gewesen sei (opposito cistae stolidorum). Dieses Verwahrobjekt für eingesperrte Narren kann demnach seinerzeit auf der Stelle gestanden haben, wo sich jetzt die Börsenhalle befindet. So ändert der Zufall alles in einer Welt, in der alles durch Zufall vorhanden ist.
Band 2 (S. 23)
Die heilige Fabel oder, was einerlei ist, die Lügentradition der Mönche und des Pöbels erzählt, dass, da Maria und Joseph durch einen Engel im Traum gewarnt, mit dem Jesuskind aus Palästina nach Ägypten gezogen sind. Sie konnten aber nicht durchs Rote Meer kommen, doch da erschien plötzlich ein Riese von gebirgiger Größe Namens Christoph, der sein Nest in der Nähe gehabt, und trug das heilige Kind auf der linken Schulter wohlbehalten durch die Fluten. Wie Maria und Joseph rübergekommen sind, verschweigt die Legende. Die Verse in der Katharinenkirche, die über diesen Fleischkoloss geschrieben stehen, erklären die Sache genauer. Ihnen zufolge bedeutet der große Riese einen Christusträger, was einen wahren Christen bedeutet, dem die Lehre des Heilands leicht wird. Der ungeheure Stab in seinen Händen ist das Wort Gottes, die von ihm getragene Laterne die Predigt und Lehre desselben und das Rote Meer, wo er sich hindurcharbeitet, ist die lasterhafte Welt. So verschrien auch die Symbolik sein mag, so ist sie doch wenigstens hier nicht übel dargestellt.
S. 135
Außer diesen gibt es weitere fünf Fleischmahlzeiten, dazu wird beim Übergang des Hauses vom abgehenden an den antretenden Jahresverwalter Reis mit Zucker und Kaneel gegeben. Eine von den Fleischmahlzeiten soll jährlich am 3. August gegeben werden. Sie ist 1721 an diesem Tag vom Provisor J. Baumann gestiftet, der dazu 6.000 Mark Banco vermachte, wobei der Testator es zur ausdrücklichen Bedingung gemacht hat, dass ?? vor dem Essen sechs, und nach dem Essen wieder sechs vorgeschriebene Lieder und noch ein vorgeschriebener Vers gesungen werden solle.? So verschieden schwer und leicht ist es für Wesen, die zu einer und derselben Gattung gehören, zu einem Bissen Fleisch zu gelangen! Diese sogenannte Baumanns-Mahlzeit muss später auf einen Festtag verlegt worden sein, denn man kennt jetzt im Zuchthaus keine anderen Fleischmahlzeiten als die an den beiden Kommuniontagen, zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten, neben der Rentzelschen und der Magenschen Mahlzeit.
S. 137
Die ins Spinnhaus Kommenden haben gewöhnlich eine ziemliche Zeit vorher in der Frohnerei gesessen, wo sie auf Kosten der Stadt bekleidet wurden und auch hier erhalten sie gleich beim Einzug die grüne Tracht desselben, nebst allem, was dazugehört. Die ins Zuchthaus Eingewiesenen sind größtenteils Bettler, Vagabunden, oft halb nacktes, aufgegriffenes Gesindel, von Schmutz starrend und mehr belebt von Ungeziefer als durch eigene Lebenskräfte. Im Haus ist für diese Fälle in einer Ecke des Hofes ein separates Verlies eingerichtet, lediglich mit einer Pritsche und Stroh ausgestattet. In diesen Menschenstall kommen Bettler und aufgegriffene Vagabunden, ehe sie im Hauptgebäude einquartiert werden. Hier müssen sie ihre am Körper getragenen Lumpen ablegen und bleiben, bis sie gereinigt und neu eingekleidet sind.
S. 151
Da in den bestehenden Gesetzen die Jahre der Spinnhausstrafe für die verschiedenartigen Verbrechen nach der Behandlung bemessen sind, welche die Fundationsakte des Hauses vorschreibt, lässt sich annehmen, dass durch diese Vermehrung in den Entbehrungen jene festgesetzten Haftjahre, die Willensmeinung der Gesetze, überschritten werden und dem Verbrechen nicht mehr angemessen sind. Wenn nun auch an eine so genaue Ausgleichung der Art nicht gedacht werden kann, erzeugt doch schon die Erinnerung an die zerbrechliche Natur des Menschen überhaupt eine zuvorkommende Stimmung gegen Übeltäter, die für ihre Handlungen gerichtet sind und wohl nicht immer so tief unter denen stehen, die für Taten geachtet werden, die so selten ihre Taten sind. Oft mag der Unterschied zwischen einem Insassen des Hauses und dem in der großen Welt Gefeierten einzig darin bestehen, dass der eine falsch gespielt, während der andere mit Unrecht gewonnen hat.
S. 226
Dieses wäre die jetzige Einrichtung des Schul- und Arbeitshauses der Allgemeinen Armenanstalt. Was dieses Institut für seinen beabsichtigten Zweck, der Verbesserung der Sittlichkeit der unteren Bevölkerungsschichten, geleistet und nicht geleistet hat, möchte ungemein schwer, genau und richtig anzugeben sein. Wenn es sich gleich nicht erwiesen hat, dass die jetzt lebende Generation durch dieses Erziehungshaus bessere Menschen gemacht, so lässt sich doch auch nicht behaupten, dass diese, unsere Zeitgenossen, nicht noch schlechter ohne diese Erziehungsanstalt sein würden. Die ärmere Menschenklasse hat mit zu vielem gleichzeitig zu kämpfen, ihr ist in den letzteren Zeiten jede Stütze genommen, weil das Beispiel von oben sie um allen Glauben und Festhalten an Sittlichkeit, Entbehrung und Resignation gebracht hat. Luxus und Verschwendung, die in den höheren Ständen ihr Unwesen treiben, mussten gar bald die Auflösung der Redlichkeit und Genügsamkeit in den unteren Klassen vollenden, denen so wenig Hilfsmittel zu Gebote stehen, um das zusammenzubringen, wodurch die äußere Ehre erhalten wird, die unverloren noch oft die Rettung von dem am Rand Herumtaumelnden gewesen ist.
S. 234
Zweimal in der Woche wurde Betstunde gehalten, so am Sonntagmittag und Mittwochmorgen. Diese hielt der Hauswirt, der zugleich Büchsenträger bei der Kurrende ist. Ob die Bezeichnung Kurrende oder Currende (besser Currente, Chorus currens, Gesangläufer) mehr von den Beinen oder von den Kehlen der singenden Knaben in Hamburg genommen ist, kann nur der bezweifeln, der den Chor nie gesehen noch gehört hat. Paarweise, den Vorsänger zur Seite, im Angesicht des Büchsenträgers, der alle Türen der Gassen beunruhigt, ziehen diese Rhapsoden durch die Stadt in schwarzen Mänteln, großer Eile und die plärrenden Töne aus dem Hals des einen jagen die Töne aus der Kehle des anderen. Sie kargidlen vor den Bürgerhäusern in Freuden- und Trauerfällen und ihr Gesang dient mehr zur Befriedigung einer gewissen Eitelkeit, als zur musikalischen und religiösen Erbauung. Aber diese Kurrende hat auch ihre gute und nützliche Seite. Sie bringt jährlich einen ansehnlichen Beitrag zur Unterstützung der im Elend Lebenden sowie der hilflosen Menschen.
S. 237
Die übrigen Behausungen sind von alten Frauen bewohnt, die diese Miete selbst aufbringen müssen. Sie haben keine andere Einnahme als in Gemeinschaft den Ertrag des Armenblocks und einen Anteil an den 90 Mark Zinsenertrag von 3.000 Kurantmark Kapital, welches die verstorbene Frau des Senators Behrenberg diesem Hause vermacht hat. Beides wird auf Weihnachten zu gleichen Teilen an die Bewohnerinnen verteilt. Somit ist das Ganze fast aufgehoben, auch ist das Haus baufällig und die Zellen so klein, dass eine darin Gestorbene, die ihr Kämmerlein gegen ihren Sarg tauscht, einen Unterschied kaum bemerken dürfte.
S. 314
Der Platz vor dem Rathaus hat noch eine gewisse Breite, aber nur, weil das Rathaus nicht besonders groß ist und nicht zu den Prachtgebäuden zählt. Dergleichen zu haben, ist wohl nur wenigen Bürgern Hamburgs eingefallen. Die vernünftigere Pluralität erkennt ihr Rathaus für ein allgemeines Haus der Bürger, wo für die Rechte und das Wohl der Stadt gearbeitet wird, nicht aber für eine Reihe von repräsentativen Räumen, wo, mit tiefen Stirnfalten die irgendeinem Schranzen gebührenden Ehren erwogen, Serenissimi allerhöchste Willensmeinung ohne Bedenken in Untertänigkeit befolgt wird, Rücken sich krümmen und Köpfe gute Muße haben.
Band 3 (S. 328)
In Betracht jetziger Ansehnlichkeit und Umfang haben sich hier etliche Kattunfabriken angesiedelt. Doch den Vergleich mit den Zuckersiedereien hielten sie nicht aus, denn sie beschäftigen sich mit einem Gegenstand, der, wie brauchbar er auch sein mag, doch zu sehr der Mode unterworfen ist, um begründete Hoffnungen einer immerwährenden Blüte zu gewähren. Wie wir jetzigen Europäer in Nahrung und Kleidertracht alle Elimate auf einmal vermischen und zu den Unsrigen machen, so holen wir auch, bei all der Grimasse, womit wir uns nur in die Griechen verliebt stellen, unsere Verschönerungskünste und deren Manieren aus allen Teilen der Welt, auch wenn sie uns an sich entfernt und fremd sind. In der Gegend der Welt, wo der abenteuerlichste Geschmack der Einwohner die unnatürlichsten Fratzen darstellt und sich daran vergnügt, als wären es olympische Bilder. An der südlichen Küste Asiens wurde die Kattunmalerei von Nationen erfunden und geübt, aus deren Ländern unsere Nachbarn Kolonien gemacht haben.
S. 379
Zur Schneider-Gilde gehören gegenwärtig 158 Amtsmeister, bis zu 450 Gesellen und 20 eingeschriebene Burschen. Dazu kommen etwas 350 Freimeister. Dass diese Zahlen nicht ganz genau sein können, liegt schon im Umstand, dass viele, die nähen können, besonders Frauen, von diesem Geschäft leben. Die Freimeister sind entweder Amtsboten oder Leichenträger. Jene zahlen dem Amt 200 Mark und dürfen zwei Gesellen halten, diese 100 Mark für einen. 1754 entspann sich ein Rechtsstreit zwischen dem Amt und den Bönhasen, der an das Reichskammergericht nach Wetzlar ging, zu dessen Führung vonseiten der Bönhasen mehrere Tausend unterschrieben hatten. Der Spruch des Gerichts fiel dahin aus, dass das Amt jeden zum Meister aufnehmen sollte, der keine Amme geheiratet hätte.
S. 403
Es ist in diesem Buch der Zweck weder des Textes noch der Anmerkungen, schreiende Urteile über Vorurteile und Missbräuche vorzutragen, sondern die Sachen so aufzuzeigen, wie sie sind und jeden denken zu lassen, was er kann. Hier aber vertritt mir der grausame Anblick lebendiger und toter Leichen den Weg meines Vorsatzes. Ich sehe halb Hamburg dahinsiechen an Unpässlichkeiten, Schwachheiten und kleinen körperlichen Beeinträchtigungen. Ich bestätige die Kunst und große Achtsamkeit, die den rechtschaffenen beobachtenden Arzt kaum ruhen lässt, um das unabwendbare, immer geflügelt zurückkehrende Heer der Furien zu vermindern, die in den Lebensquell der Hamburger immer neue Schlammhaufen werfen. Man ängstigt sich nirgends mehr als hier um eine kleine Verlängerung der noch möglichen Frist an Lebenszeit und versucht die Möglichkeiten der Erhaltung nirgends mehr durch giftige Mittel vorzunehmen.
In seinen fleischlichen Genüssen stellt sich der hamburgische Mensch unveränderlich, scheint im Herzen seinen Körper für ein Spinngewebe zu halten. Im Taumel der Maßlosigkeit wähnt er sich unvergänglich und in den Folgen derselben macht ihn der Schreck ebenso unmäßig im langen Gebrauch der Arzneien. Daher nicht nur die Menge wirklicher Ärzte, wovon die Stadt eine große Anzahl nötig hat, sondern auch die Horden der Pfuscher, Quacksalber, Pulverhöker und hausierenden Pulsfühler. Eine ihrer männlichen Beschäftigung und des weiblichen Geschlechts wegen sogenannte Doktor Lisbeth und ein Bauer aus dem Dorf Bukberg, der jeden Samstag in der Fuhlentwiete medizinische Session hielt und aus dem Wasser urteilte, haben erst vor wenigen Jahren ihre Praxen aufgegeben. Hier hatte die hamburgische Polizei schon seit den ältesten Zeiten ihre schwächste Seite und schlimm, dass es gerade diese Seite war. Man scheint dabei zu sehr vorausgesetzt zu haben, dass es mit den Vorurteilen wie mit der Liebe geht, bei der Hindernisse anfachen, statt zu dämpfen und wenn Liebe gleich für kein Vorurteil gescholten werden kann, es doch keinen Menschen von Vorurteilen gibt, der diesen seinen Besitz nicht lieb haben sollte.
S. 404
Eine merkwürdige Theorie der Ärzte ist unglücklicherweise unter das Publikum gekommen, wonach fast alle Krankheiten Ihre Ursache in Unreinigkeiten im Unterleib hätten. Es wurde behauptet, dass nur Brechmittel und Purganzen verhüten und heilen könnten. Im Abgang der Unreinigkeiten, glaubte man, sei die Krankheit enthalten, die man zugleich mit wegpurgiert habe. Gesunde haben das Abführen in dieser Art nicht nötig, eine zweckmäßige Lebensordnung erübrigt sie der häufigen jährlichen oder halbjährigen Laxanz. Es ist ein Irrtum, wenn man sogleich jedes Übelbefinden der lange unterlassenen Abführung zuschreibt, auch wenn der Quacksalber versucht, so etwas seinem Kunden einzureden, wenn er lange Zeit keine Purgierpillen abgesetzt hat. Auch hier kommt das Übel von der Unmäßigkeit oder von anderen Ursachen, die eine Krankheit erregen können. Beim gemeinen Mann sind die stärksten Purgiermittel die beliebtesten. Er meint, eine harte Natur zu haben, und bezieht vom Quacksalber eine Purganz, die dieser wahrscheinlich von einem Vieharzt bekommen hat. Entsteht nicht ein gewaltiger Durchfall auf mehrere Tage, so war sie nicht kräftig genug. Man nimmt wohl, wenn nach ein paar Stunden nicht Ausleerung erfolgt, sogleich wieder eine derbe Portion. Auf diese Art hat sich mancher krank oder wohl gar zu Tode purgiert.
S. 443
Nur die Zahl der in ihrer frühesten Jugend fallenden Menschwesen erscheint hier über alle Maßen groß, und wenn man anders das Leben für ein beglückendes Geschenk ansieht, auch niederschlagend. Von der Gesamtzahl der, während den letzten 10 Jahren in Hamburg zur Welt gekommenen Menschen, erreichten keine drei Fünftel ein volles Lebensjahr und die Hälfte war gestorben, ehe sie das zehnte Jahr erreicht hatte.
Lessing, dem seine Frau einen Knaben gebar, der einige Stunden nach der Geburt starb, wollte in diesem schnellen Umkehren aus der Welt ein Wesen von vielem Verstand entdeckt haben. Wäre dieser Schluss richtig, so müsste in Hamburg eine gar große Anzahl Menschen von Verstand alljährig sterben. Doch nicht in Hamburg allein, in allen Ländern, besonders in allen großen Städten Europas kehren eine Menge kaum geborener Menschen wieder um, bevor sie das erste Jahr des Erdenlebens durchschmeckt haben, sodass, wenn es sich mit des scharfsinnigen Mannes Voraussetzung wirklich so verhalten sollte, es zu bewundern ist, dass noch so viele Menschen, die auf Verstand Anspruch machen, zu den weiterlebenden gehören können. In London waren von 26.513 Kinder, die während einer Reihe von Jahren im dortigen Geburtshaus zur Welt kamen, 1.868 so gescheit wie der junge Lessing und kehrten gleich nach dem ersten Blick ins Leben wieder um. In Paris sterben im Durchschnitt von 1.000 Geborenen 368, ehe sie das 2. Jahr zurückgelegt haben, in Wien 394 und in Petersburg sogar 399 von 1.000.