Leseprobe:
Der Wind und die Sterne
Die Straße ist schlecht und schlängelt sich in unzähligen Kurven durch die Berge. Abebe muss sich festhalten, wenn das Auto durch die tiefen Schlaglöcher holpert. Der Motor dröhnt und heult, und langsam klettern sie immer weiter hinauf. Neben der Straße gähnt eine tiefe Schlucht. Tief unten löst sich zögernd der nächtliche Nebel auf, während die Berghänge und die Täler bereits in hellem Sonnenlicht liegen.
Endlich erreicht der Lastwagen den Pass, und in rasender Fahrt geht es nun bergab. In den Kurven quietschen die Reifen. Abebe klammert sich an die Getreidesäcke und möchte am liebsten in sie hineinkriechen. Immer weiter geht die Fahrt in ein weites, sonnenverbranntes Tal hinab, an dessen Ende neue Berge bis in die Wolken hinaufragen.
Hinter diesen Bergen ist Abebe vor einigen Tagen mit dem Großvater in die Stadt gewandert. Wie viele Tage seitdem vergangen sind, weiß er nicht mehr, aber es ist so viel geschehen in dieser Zeit.
Auf beiden Seiten der Straße stehen mit Maisstroh gedeckte Hütten. Sie sind verlassen. Menschen sind keine zu sehen. Es ist unheimlich auf dieser Straße. Der Fahrtwind ist kalt. Dichter, rötlicher Staub hüllt Abebe ein, und bald ist das Auto mitsamt der Ladung von einer dünnen Staubschicht überzogen.
Abebe ist noch nie mit einem Auto gefahren. Langsam fällt die Angst von ihm ab, und er hält den Kopf in den Wind. Seine Augen leuchten. Den Griff seiner Hände aber lockert er nicht. Er krallt sich in die Getreidesäcke, und der Wind zieht flatternd an seinen Kleidern. Es ist, als hätte er sich vom Boden gelöst. Er gleitet wie ein Adler durch die Luft und spürt, wie die Berge und Täler an ihm vorbeisausen. Abebe vergisst seinen Kummer, er lacht und jauchzt in den Wind hinein.
Plötzlich fallen Schüsse. Kugeln pfeifen durch die Luft. Das Auto kommt ins Schleudern und bremst so scharf ab, dass Abebe gegen die Säcke geworfen wird. Er hört laute Stimmen, doch der Motor tuckert noch, und Abebe kann nichts verstehen. Dann geht der Motor aus. Sabil Adi und Desta müssen aussteigen. Sie halten die Hände hoch über den Kopf, und eine Stimme schreit sie an. Abebe kann nicht sehen, woher die Stimme kommt und zu wem sie gehört.